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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 27.04.2006


Arlit, ein zweites Paris
Christiane Sanaa

Mit der Entdeckung großer Uranvorkommen kam in den siebziger Jahren die französische Firma Comega nach Arlit. Es gab Arbeit und die Stadt blühte auf. Doch das Glück war nur von kurzer Dauer.




Die Bilder sind trübe. Sand und Geröll, so weit das Auge reicht. Dazwischen einfache Ziegelhäuser, vereinzelte Sträucher, Bagger und eine Fabrik, die viel Staub aufwirbelt. Sie ist die Ursache dafür, dass die Stadt Arlit im Niger zu einem Magneten für Menschen aus ganz Afrika wurde. Der Ort versprach Arbeit und damit Wohlstand und erlangte so den Ruf, ein zweites Paris zu sein.

In den 90er Jahren wurde die Gegend allerdings "unruhig". Eine große Dürrekatastrophe hatte viele Tuareg, das große Nomadenvolk West- und Nordafrikas nach Algerien, Libyen und in den Süden vertrieben. Als dann die Regierungen von Niger und Mali großzügige Hilfsprogramme aus den Mitteln der UNO versprachen, kehrten viele in ihre Heimatländer zurück. Hilfe erhielten sie jedoch nicht.
Die Enttäuschung darüber und die repressive Haltung der Regierungen gegenüber den Nomaden, denen sie den Autonomiestatus verwehrten und die sie zwangsweise seßhaft machen wollten, führte schließlich zu großen Aufständen. Die Folge war die Ermordung tausender Tuaregs -die Unruhen erschwerten die Ausbeutung der Uranvorkommen bei Arlit. Als nun auch noch der Preis für Uran auf dem Weltmarkt sank, wurde der Uranabbau weitgehend eingestellt.

Arlit verfiel wieder in Trostlosigkeit und Armut und seine EinwohnerInnen bezahlen bis heute einen hohen Pries für das kurze Glück. Denn niemand hatte sie damals über die Gefahren aufgeklärt, die im Umgang mit dem radioaktiven Material bestehen. Es gab keine Schutzkleidung, keine medizinische Betreuung - nichts. "Wir wußten von nichts. Wir gingen mit der Kleidung, in der wir gearbeitet hatten, nach Hause, spielten mit unseren Kindern - ohne zu ahnen, dass wir auch sie damit schon verseuchen." (Issa). Die Menschen bauten mit dem radioaktiv verseuchten Altmetall, das die Fabrik großzügig verschenkte, ihre Häuser, ihre Kochherde und sogar ihre Töpfe, in denen sie ihr Essen zubereiten.

Erst mit der massiv gestiegenen Todesrate unter den ArbeiterInnen und den schweren Erkrankungen, vor allem Leber- und Lungenkrebs, die zahlreiche Menschen heimsuchen, wurden die EinwohnerInnen Arlits aufmerksam. Heute wissen sie, wie sehr sie betrogen wurden. Doch die französischen Firmen streiten alles ab. Es werde ja mit Wasser gebohrt, so dass eine Gefahr durch das Einatmen radioaktiven Materials gar nicht bestehen könne. Der Werksarzt sieht die Ursache der hohen Krebsrate nicht in den Arbeitsbedingungen, sondern behauptet, die Leute rauchten zu viel.
Bis heute gibt es keinerlei Entschädigung für die ArbeiterInnen, nicht mal ein funktionierendes Krankenhaus wurde gebaut. Die Umgebung ist radioaktiv verseucht und mit kontaminiertem Schrott übersäht.

Wer nicht gestorben ist, ist abgewandert. Die, die geblieben sind, leben unter miserablen Umständen. Und immer noch zieht die Stadt Menschen aus ganz Afrika an. Denn sie ist der letzte Ort vor der algerischen Sahara und damit eine Station von afrikanischen ImmigrantInnen auf dem Weg nach Europa.

AVIVA-Tipp: Idrissou Mora-Kpai gibt den Menschen ein Gesicht, die im reichen Europa meist nur als illegale Wirtschaftsflüchtlinge wahrgenommen werden, die mit einem Zaun aus Stacheldraht und notfalls mit Gewalt an die Küste Afrikas zurückgedrängt werden müssen. Sein Film schildert ohne große Worte die unwürdigen Bedingungen, unter denen Menschen heute noch leben. Er zeigt, wie skrupellos sie ausgebeutet werden, während andere das große Geld einstreichen. Ein Blick auf den weiten Schatten, die die Globalisierung weltweit wirft.

Der Regisseur und Autor des Films, Idrissou Mora-Kpai, geboren 1967 in Benin, verließ nach dem Abitur sein Heimatland in Westafrika. Sein Weg führte ihn über Algerien und Italien nach Deutschland, wo er Amerikanistik an der Freien Universität Berlin studierte. 1994 wechselte er zum Fach Regie an der Hochschule für Film- und Fernsehen ‘Konrad Wolf’ in Babelsberg. Nach Abschluss des Studiums ging er nach Paris und gründete seine eigene Produktionsfirma "MKJ Films". Heute lebt und arbeitet er in Paris und Köln.
Er drehte bisher folgende Filme:

  • Ausländer (1994, 9 Min)
  • Fugace (1996, 11 Min).
  • Fake Soldier (1998, 24 Min)
  • Si-Gueriki, la reine-mère (Si-Gueriki, The Queen Mother, 2002, 62 Min)


Arlit, ein zweites Paris
Regie: Idrissou Mora-Kpai
Drehbuch: Idrissou Mora-Kpai
Benin, Frankreich 2005
Dauer: 78 min
Sprachen: Bariba, Haussa, Tamasheq, Französisch
Kinostart: 27. April 2006
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Beitrag vom 27.04.2006

AVIVA-Redaktion